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Aus dem Kapitel "12. September"

12.September
Wir fuhren in Seward ein. Um 04.00 Uhr befanden wir uns noch in rauer See und um 08.00 Uhr fuhren wir schon in die ruhige Bucht mit Hafen ein.
Das erste, was wir taten, war die Benzintanks zu füllen und einen Mechaniker an Bord zu holen. Umgeben waren wir dabei von einem Gebirgspanorama, welches sich etwas im morgendlichem Nebel versteckte. Am Nachmittag legten wir an der anderen Seite der Bucht an und zum Abend feierten wir im Elch-Club den erfolgreichen Abschluss der Reise.


So beginnt die erste Seite eines neuen Tagebuches, welches mich für die nächsten siebzehn Monate begleiten soll.
Dann wird es, wie all die anderen, bei Freunden oder Bekannten hinterlegt. Immer in der Hoffnung, dass es nicht verloren geht, man selbst nicht irgendwo aus dem Leben gerissen wird, ohne mitzuteilen und teilhaben zu lassen.
Denn was nützen die Tagebücher eines anderen ? Mehr als eine Reiseroute ist ihnen kaum zu entnehmen. Die Zeilen sprechen selten von den Ängsten und Hoffnungen, die mich immer begleiteten oder vom Hunger, Durst und den Schmerzen, die neben mir wanderten.
Es will mir nicht behagen, eine Dramatik oder einen Überschwang in den Büchern festzuhalten. Viele Begegnungen, Augenblicke und besondere Situationen müssen aus der Ferne betrachtet werden. Mit Abstand. Das kann ich nur erreichen, wenn ich Fakten festhalte, ohne besonders auf meine subjektiven Stimmungen einzugehen. Später, so sage ich mir, wird nur die Essenz bleiben und ein objektives Bild geschaffen.
Außerdem ist es mir nicht angenehm zu wissen, dass durch meine Tagebücher auch andere Leute in mein Innerstes sehen können. Meine Träume, Wünsche, Ängste und Sorgen will ich nur mit Freunden teilen.
Ein jeder öffnet sich schon etwas dem Mitmenschen, doch meistens zaghaft nur, denn Freund und Feind sind sich doch so nahe.
Es ist schon traurig in einer Welt zu leben, wo man immer mit einem Auge über die Schulter sehen muss und die Offenbarung seiner Selbst als Anklage gegen einen selbst verwendet werden kann.

...
Am nächsten Morgen werde ich als erster wach. Hunger und Durst treiben mich zu einer schnellen Dusche und dann, der Nase nach, ins Erdgeschoß.
Dort treffe ich auf drei andere Gäste der Pension, welche sich schon am Tisch versammelt haben. Ganz Gentleman begrüße ich zuerst die Dame und dann die zwei Herren. Ein Gespräch ist schnell aufgenommen, während der Hausherr fleißig in der Küche wirkt.
"Sie kommen von .... ?", so einer der Herren.
"Aus der Gegend um Nome. Lebte dort mit den Eskimos .... !", bemerke ich zurückhaltend.
Ich hatte mir schon die weise nordische Philosophie vieler Eskimos zu eigen gemacht, dass es unhöflich ist, jemandem persönliche Fragen zu stellen. Man wartet, bis der Gast von selbst darüber Auskunft gibt. Und wenn man sich die Zeit und Ruhe nimmt, kommen diese Auskünfte immer. Auch ohne bohrende Fragen. So vermeidet man es, als neugierig zu erscheinen und sich um Dinge zu sorgen, welche einen nun wirklich nichts angehen.
So waren dann auch meine Auskünfte sehr kurz und ausweichend. Mit den Jahren habe ich mich auch selbst an meine kleinen Abenteuer so gewöhnt, dass sie mir alltäglich erscheinen und ich sie nicht der Rede wert finde. Vorbei ist die Begeisterung über einem stürmischen Tag im Kanu, einer Bärenbegegnung, etc. jedem zu erzählen, der es hören will oder auch nicht.
Aufhorchen muss ich aber, als die Dame sich mit einer Frage an mich wendet.
"Sie sind doch Deutscher ?"
"Ja, warum ?"
"Sind Sie nicht der Deutsche, der unter den Eskimos lebte, letzten Sommer versucht hat die Bering Straße im Kanu zu überqueren und dabei fast ums Leben gekommen ist ?"
Ich bin so erstaunt, das ich eine Verneinung total vergesse. Immerhin bin ich das erste Mal im Süden Alaskas und hatte diese Geschichte noch keinem erzählt !
"Woher wissen Sie das ?"
"Oh, da waren schon einige Artikel über Sie in der Zeitung hier, und mein Sohn ist so begeistert von Ihnen, dass er die Artikel sogar ausgeschnitten hat."
Ich weiß von John in Tin City, dass letzten Winter ein Artikel in der Anchorage Daylie News über mich war. Aber mehrere ? Nun habe ich einen Grund zu erröten. Die Dame treibt mich in ein noch tieferes Rot, als sie mich auch noch um ein Autogramm für ihren Sohn bittet.
Schnell beende ich mein Frühstück und entschuldige mich mit einem unruhigem Gefühl, dem ich aber keinen Namen geben kann. Natürlich ist da auch ein gewisser Stolz, dass meine Reisen so ungewöhnlich schienen, dass sogar die Presse darüber schreibt. Wenn nur nicht das dumme Gefühl dagewesen wäre. Irgendwie befürchtete ich den Verlust meiner bewusst gesuchten Anonymität.

...

Nun bin ich aber nicht in die Stadt gekommen, um Zerstreuung und Unterhaltung zu haben. So sehr vermisse ich die Zivilisation doch nicht und war mit dem dünnbesiedelten Norden ganz zufrieden. Ein ganz konkreter Papierkrieg führt mich hierher. Zwang mich hierher, wenn ich es ganz genau überlege. Die Anwesenheit meiner Eskimoeltern versüßt zwar den Aufenthalt, ändert aber nichts an den Tatsachen.
Schon am nächsten Tag bin ich auf meinem Weg, um im deutschen Konsulat nach einem neuen Reisepass zu fragen. Mein alter Pass nährt sich dem Verfallsdatum, und gänzlich ohne gültige Papiere wollte ich doch nicht unterwegs sein. Immerhin plane ich vor dem kommenden Winter noch einige Besuche bei Freunden in Canada. Dass dieser Plan zum ultimativen Erlebnis und Wegweiser für die kommenden Jahre wird ,ahne ich jetzt noch nicht.
Ich erscheine ca. 11.45 Uhr im Konsulat. Eine Adresse mitten in der Stadt, mit einem einladendem Vorzimmer.
Mit Problemen rechne ich nicht. Es mag schon sein, dass man in der Heimat von der Bürokratie in den Wahnsinn getrieben wird. Aber hier? Für mich ist ein Konsulat ein Ort, wo ratsuchenden Staatsbürgern mit Hilfsbereitschaft und Anteilnahme geholfen wird. Zweifel an dieser Definition steigt in mir auf, als ich feststelle, dass die Sekretärin keine Vorstellung von der deutschen Sprache hat. Gott sei Dank kann ich nun schon etwas Englisch ! Doch was mit den Deutschen , welche die Sprache nicht beherrschen, in einer Notsituation von Dringlichkeit? Auf jeden Fall bin ich erstaunt über meine Entdeckung.
Ich erkundige mich erst einmal nach dem Konsul, um mehr als ein kleines Problem darzulegen. Mit dieser Frage habe ich wohl einen wunden Punkt getroffen. Die Vorzimmerdame scheint der Meinung zu sein, auch ohne die notwendigen Sprachkenntnisse alle anfallenden Besucher erledigen zu können. Ein hochmütiger Blick trifft mich und sie erklärt mir, dass sie nicht weiß wo der Konsul ist, noch wann er wieder im Konsulat sein wird. Das alles wird mit arbeitsspezifischen Handlungen unterstrichen und ich bin wirklich beeindruckt, wie fachgerecht sie irgendwelche Formulare ausfüllt und mich auch noch so nebenbei ‚verarbeitet‘. Naja, das sind wohl die Fähigkeiten einer guten Sekretärin. Halte deinem Chef die Arbeit und Probleme vom Hals! Also komme ich wieder zum Problem meines Reisepasses. Ohne genau zuzuhören, drückt sie mir jetzt ein Formular in die Hand und informiert mich, dass ich nur noch sieben Minuten Zeit habe, um es auszufüllen, denn dann ist Mittagszeit. Langsam beginnt sich mein Blutdruck auf Höhe einzustellen, doch noch gelingt es mir, freundlich zu lächeln. Solche Behandlung hatte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt.
Verbissen arbeite ich am Formular und kämpfe gegen die Uhr. Fertig! Und das in fünf Minuten. Stolz reiche ich die Frucht meiner Arbeit über den Schreibtisch. Diese Hürde ist genommen, und jetzt will ich nur noch wissen, wann ich wiederkommen muss. Aber das ist ein großer Irrtum !
Die Sekretärin kontrolliert mit kurzem Blick meine Unterlagen. Jetzt sehe ich in leuchtende Augen und werde darüber aufgeklärt, dass ich doch am Nachmittag wieder vorbeikommen soll. Dann kann ich auch Passbilder mitbringen, schon alles im voraus bezahlen und dann einige Wochen warten. Und natürlich wird der neue Pass in Deutschland angefertigt und das braucht seine Zeit. Die Frau hat Nerven. Wozu die ganze Hetze und warum nur halbe Auskünfte ?
Das alles kann meine friedliche Seele gerade noch nehmen. Doch ihr Ton und Auftreten gibt meinen gesetzestreuen Absichten den Todesstoß. Wenn es einigen irdischen Mächten nichts ausmacht, dass meine Papiere nicht in Ordnung sind, dann lege ich mein Schicksal in die Hände einer höheren Macht. Mein Glaube liegt jetzt und hier in Scherben, dass ein Konsulat nicht nur da ist um Handel und Wandel der Heimat zu propagieren, sondern auch, um den Kindern des Vaterlandes zur Seite zu stehen. Schnell und unproblematisch. Der Mensch denkt und die Bürokratie lenkt.
Freundlich verabschiede ich mich und zitiere in meinem Geist das bekannte Zitat vom alten Götz. Ich bin in Versuchung, es ihr auch in Englisch zu sagen, oder wenigstens auf Schiller hinzuweisen; doch hindert mich daran mein eingebläuter Anstand. Was ich mir selbst verbiete, ist schon der Gedanke, mich noch einmal freiwillig der Bürokratie auszusetzen. Dieses Gebäude werde ich nie wieder betreten. Und hier ist ein neuer Eckstein gelegt, der mich in der Wildnis halten soll.